23.04.2012 Happy New Year 2069!

Nepal mag ja in mancher Hinsicht hinter Deutschland herhinken, doch in einem sind die Nepali uns Europäern voraus: wir schreiben hier bereits das Jahr 2069. Da sag noch Einer, dass hier alles langsamer vorangeht ;o)

 

Die letzten beiden Jahre war Neujahr ziemlich wenig beeindruckend: es gab einen Tag frei und danach fing halt ein neuer Tag, ein neuer Monat und ein neues Jahr an. Doch im Kathmandu-Tal mit all seinen newarisch geprägten Orten wird das neue Jahr mit einem Riesenspektakel begrüßt. Und ich konnte diesmal mitfeiern. Zusammen mit ein paar Freunden aus Luxemburg, Österreich und Nepal habe ich eine Neujahrs-Tour nach Bhaktapur, Thimi und Bode gemacht.

12.04.2012/ 30.12.2068 Bisket Jatra in Bhaktapur

Da meine Freunde ja noch arbeiten müssen, brechen wir gegen Spätnachmittag auf in Richtung Bhaktapur. Dort checken wir schnell in unserem Hotel ein und ziehen dann bereits wieder los, denn schon jetzt hören wir die Anfeuerungsrufe der begeisterten Menge. Diese feuert einige junge Männer an, die den Yoshin-Mast aufrichten wollen. Dieser wie ein Kreuz geformter Baumstamm weigert sich jedoch zu kooperieren und die Jungs sind die ganze Nacht am ziehen, stemmen und schubsen; auch als gegen 23 Uhr ein Regenschauer einsetzt, geht das Gezerre am Baumstamm weiter. Wir essen gemütlich auf einer der vielen Dachterrassen Bhaktapurs zu Abend und gehen dann ins Hotel zurück.

13.04.2012/ 01.01.2069 Bhaktapur und Thimi

Nach dem Frühstück gehen wir zurück zum Platz, wo der Baumstamm zwar ein wenig weiter aufgerichtet ist, jedoch haben wir nicht viel verpasst. Auf dem Platz befinden sich nun auch die beiden Festwagen, die am Abend bzw. am frühen Morgen dorthin geschoben wurden: ein großer, an dem ununterbrochen Opferungen dargeboten werden: neben Reis, Blüten und dem obligatorischen roten Kumkumpulver auch Hähne in Unmengen. Man muss aufpassen, nicht auf Opfergaben zu treten (die Hahnenköpfe liegen inmitten der Blüten auf dem Boden um den Wagen herum) oder auf eine Lache Hühnerblut zu treten. An den Wagen vorbei geht es wieder zum Yoshin-pole. Unter lauten Anfeuerungsrufen der nicht immer ganz nüchternen Betrachter hebeln die (ebenfalls nicht ganz nüchternen) Männer den Stamm immer weiter hoch.

Mehrmals brechen die zusammengebundenen Holzkreuze, die den Stamm unterstützen und im bereits erzielten Winkel halten sollen. Gegen Mittag schließlich steht der Mast. Etwas schief und schepps zwar, aber kaum dass die lange, herabhängende Fahne mit den Götterapplikationen nicht mehr den Boden berührt, klettern die umstehenden Männer am glatten Stamm oder den herabhängenden Seilen hoch. In einem Wahnsinnstempo und wie die Affen, wirklich beeindruckend. Wer die Spitze als Erstes erreicht, bekommt anscheinend einen Sohn. Naja, wer daran glaubt...

 

Kaum dass der Baum aufgestellt ist, verlagert sich die Aufmerksamkeit auf die beiden Festwagen, die nun ebenfalls in Bewegung gesetzt werden: erst wird der große Wagen mit Seilen gezogen. Das mehrere zentnerschwere Gefährt mit seinen riesigen Holzrädern wackelt erst nur hin und her wie ein Kuhschwanz, doch kaum dass es sich dann in Bewegung gesetzt hat, heißt es für die Seilzieher: schnell Land gewinnen, denn als er erst einmal Fahrt aufgenommen hat, rattert der Wagen stetig und recht flott den leichten Abhang herunter und rollt dann auf der Ebene aus.

Die gleiche Prozedur erfolgt nun mit dem kleinen Wagen, nur dass dieser von den Kindern gezogen wird. Auch hier dauert es eine Weile, bis der Festwagen rollt, doch dann zieht er sogar am großen Bruder vorbei und bleibt etwas unterhalb stehen.

 

Wir beobachten noch ein wenig die Leute und genießen es, inmitten der feiernden Nepali zu sein: junge Frauen lassen sich mit Henna Mehendi auf die Hände malen; Kinder laufen mit leuchtend pinker Zuckerwatte vorbei; in rote Saris gekleidete, ältere Frauen kommen mit ihrem Bronzeteller voller Opfergaben vorbei, während die Männer den schlaffen Hahnenkörper an den Flügen zum Mittagessen nach Hause tragen; indische Verkäufer laufen mit ihren wie Äste an einem Stamm angebrachten Holzflöten vorbei und preisen ihre Ware laut schreiend an; lange Reihen der Armed Police Forces stehen entlang der Straßen und sorgen für einen friedlichen Ablauf des Festes; junge Männer versuchen mit coolen Sonnenbrillen und gegelten Frisuren die Mädels zu beeindrucken oder laufen mit ihren Kumpels freundschaftlich Hände haltend über den Platz; und inmitten der Menschenmenge stehe ich und genieße den Trubel, das Treiben und die ausgelassene Stimmung um mich herum.

Doch der Tag ist ja noch nicht zu Ende. Wir fahren von hier aus zu unserer nächsten Übernachtungsstätte, einem umgebauten Farmhouse im Nachbarort Gamcha. Idyllisch gelegen, mit Teich und Blumengarten, eigenem Gemüseanbau und kleiner Imkerei befindet es sich nur 20 Minuten von Thimi entfernt. Nach einem leckeren Abendessen fahren wir noch los, um den nächtlichen Feiern am Vorabend des eigentlichen Festes beizuwohnen. In Thimi ist jetzt um 19 Uhr der Bär los: jeder Tempel der Stadt (und das sind viiiiele) hat einen kleinen, tragbaren Schrein gebaut, in dem der dem Tempel geweihte Gott durch den Ort getragen wird. Wie bei den römischen Sänften wird der Tempelschrein von vier Streben getragen. Anders als bei den alten Römern sind die meisten Träger hackedicht und man weiß nicht immer, ob die Männer den Schrein tragen oder der Schrein die Jungs stabilisiert. Manche hängen an den Holzbalken wie Jesus am Kreuz, andere werden nur mit Hilfe mehrerer Freunde aufrecht gehalten. Doch erstaunlicherweise schwanken die Schreine zwar bedenklich, doch alle kommen nach den Besuchen bei den anderen Göttern heil wieder „daheim“ in ihrem eigenen Tempel an. Jeder Schrein wird durch Musik angekündigt und von Begeisterten begleitet. Manchmal kommen gleich mehrere Schreine hintereinander, dann ist wieder etwas Ruhe in den Gassen oder es kommen sich die verschiedenen Prozessionen entgegen. In den Ruhepausen kann man manche Musikgruppen auch vor den Tempeln oder auf kleinen Plätzen spielen hören und den mehr oder weniger betrunkenen Tänzern zusehen. In großen Wasserkesseln wird Chiang herumgereicht, das Reisbier, das die Newari zu Festen trinken und schon heute wird ausgiebig mit dem orangebraunen Farbpulver geworfen, das aus dem Lehmboden der Umgebung gewonnen wird und ein Restprodukt der Ziegelherstellung ist, der die Umgebung einen Teil ihres Wohlstandes verdankt.

Gegen 22 Uhr haben die meisten Schreine ihren mit einem kleinen Zierdach markierten Nachtort neben dem Tempel gefunden und nun kommen die Frauen mit ihren Opfergaben und den Blumen, die sie über die Schreine streuen.

Wir sind zum Essen beim Onkel meiner nepalischen Freundin eingeladen und bekommen nicht nur leckere Snacks, sondern auch das beste Chiang und sehr guten Ayla (hausgemachter Reisschnaps), bevor wir uns wieder auf den Weg in unser Farmhouse machen.

Sorry, wenn das Video manchmal so verwackelt ist, aber der Wagen kam teilweise ziemlich knapp an mir vorbei und es gab ein ordentliches Geschupse.

Ach ja: das Mikrofon an meiner Kamera funktioniert nicht mehr richtig, so dass alles deutlich leiser ist als tatsächlich. Da könnt ihr euch vielleicht vorstellen, was für ein Lärm dort geherrscht hat ;o)

Dafür, dass die hier aber so schief tanzen und falsch spielen kann meine Kamera aber nichts ;o)

14.04.2012/ 02.01.2069 Thimi und Bode

Als wir nach dem Frühstück wieder nach Thimi kommen, ist das festliche Treiben bereits in vollem Gange: der gesamte Ort ist in orange getaucht wie bei einem Fußballspiel der Holländer, die Schreine sind bereits wieder unterwegs und heute wird es ernst: alle Schreine müssen eine festgelegte Route im Ort drehen und eine bestimmte Anzahl an Umrundungen um die Tempel vollenden bevor sie dann versuchen als erster Schrein durch den engen Durchgang zu einem kleinen Hof mit einem ebenfalls kleinen Tempel zu gelangen. Alle Newari, die das lesen, mögen mir verzeihen, dass ich das nur so wischiwaschi erklären kann, wo doch alles nach strikten Regeln abläuft. Ich habe nur mitbekommen, dass wieder einmal alle Schreine mit Musik unterwegs sind, um die Tempel rennen, dabei fast immer knapp vor dem Umfallen sind und dass jeder mit Farbe wirft und sich bis zum Koma besäuft.

Fairerweise halten mir die Nepali meist eine Hand mit Farbpulver hin, an dem ich mich bedienen und ebenfalls um mich werfen kann, bevor ich dann eine gehörige Portion des Pulvers in Gesicht, Haare oder sonst wohin bekomme. Eine Ladung bekomme ich voll in beide Ohren gerieben und wie durch einen Watteschleier verschwimmen alle Geräusche und das Geschrei um mich herum. Meine Hauptsorge gilt bei diesem Farbrausch meiner Kamera, doch wie immer hält sie Einiges aus und kommt gut durch den Tag.

 

Wir lassen uns mit der Menge treiben und landen durch Zufall und eine Menge Glück genau in dem Moment in dem kleinen Innenhof, als der Erste der Schreine den Lauf durch die Stadt beendet hat und sich durch die enge Türöffnung quetscht. Direkt im Anschluss folgen noch zwei weitere Prozessionen und der Hof ist überfüllt, laut, orange und durch die sich wild drehenden Schreine nicht ganz ungefährlich. Während der „Gewinnerschrein“ auf der rot markeirten Fläche abgestellt wird, verlassen die anderen beiden Teams wieder den Hof, um Platz für die anderen Ankommenden zu machen.

 

Als ich wieder mit meinen Freunden zusammentreffe, sehe ich aus, als wäre ich in einen Farbtopf gefallen. Meinen Durst kann ich mit stark verdünntem Chiang stillen und nach einem schnellen Snack machen wir uns schon wieder auf den Weg.

Ziel ist das Nachbardorf Bode, in dem Neujahr noch einmal etwas anders gefeiert wird als in Thimi. Neben den Schreinen, die auch hier jeder Tempel ausstellt, wird in Bode jedes Jahr einem jungen Mann ein Messer durch die Zunge gesteckt und so gepierced muss er dann ein Feuerrad auf den Schultern durch den Ort tragen. Der Familie des Mannes soll es Ruhm und Ansehen und bestimmt auch Glück bringen und es ist eine große Ehre, der für das Jahr Auserwählte zu sein. Während wir auf die Ankunft des angeblich in Trance Verfallenen warten, bekommen wir ein Fernseh-Interview mit einem früheren Neujahrs-Gepierceten mit, der auch stolz sein Loch in der Zunge zeigt. Wir stehen mehrere Stunden in der prallen Sonne und da das Ereignis auf einem Platz stattfindet, der durch Hauswände und Mauern wie ein geschlossener Raum wirkt und immer mehr Menschen hereindrängen, ist es bald unerträglich eng, heiß und schwitzig. Dass auch hier einige Männer bereits ausgiebig gefeiert haben und nicht mehr ganz nüchtern sind, macht die Sache nicht leichter, denn diese Gruppen finden es lustig, durch starke Bewegungen die gesamte Menge in Bewegung zu versetzen, so dass wir alle wie in einer total engen Ganzkörper-Laola schwanken und alle umzufallen drohen. Wenn jetzt eine Panik ausbricht, gibt es Tote, denke ich mir noch als auch schon die Polizei kommt und einschreitet. Manche Köpfe rollen schon bedenklich unkoordiniert auf den Schultern herum und auch ich muss so tief durchatmen wie es geht, um keinen Koller zu bekommen. Am Liebsten würde ich jetzt gehen, wie meine Freunde das bereits vor einer halben Stunde getan haben, doch es gibt kein Vor oder zurück mehr, da muss ich jetzt durch. Irgendwann steht der Typ dann auch tatsächlich auf der Bühne und winkt in die Menge. Von Trance aber keine Spur, irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt. Und als er dann auch keinen Ton sagt, sondern nur beschriebene Kärtchen hochhält, bin ich mir sicher, dass nicht eine Trance, sondern eine örtliche Betäubung von den Schmerzen ablenken soll. Naja, irgendwie ist das ein bissle Fake, aber was solls. Man bekommt ja nicht jeden Tag ein Schwert durch die Zunge gerammt... Der Typ im grauen Anzug, der bereits seit einer Stunde ganz wichtig tut und auf der Bühne herumgelungert hat, stellt sich als der Arzt heraus, der die Aktion durchführen soll. Und das Schwert entpuppt sich als kleiner Schaschlikspieß. Jetzt bin ich enttäuscht! Jeder, der sich die Zunge pierchen lässt, hat das schon durchgemacht, was der Auserwählte jetzt unter Beobachtung mehrerer Fernsehteams, der Presse und hunderter Schaulustiger wie mir erlebt: ein Mediziner stupft ein desinfiziertes und kleines Metallstäbchen durch die Zunge. Najaaaa, ich will ja nicht sensationslüstern sein, aber für die lange Wartezeit in der Sonne als eine der wenigen Frauen unter Männern, die sich von allen Seiten an einen randrücken, hätte ich mir etwas Spektakuläreres gewünscht. Kaum dass der Spieß steckt, bewegt sich die Menge um mich herum zum Tor, das aus dem Hof führt. Ich kann nichts Anderes tun als mitzulaufen. Drauen bekomme ich endlich mal wieder Luft, kann auch ein paar Schlucke Wasser trinken und stelle fest, dass mir im Gedränge die Umhängetasche aufgeschnitten wurde, aber Gott sei Dank weder Kamera noch Geld oder sonst etwas fehlt. Ebenfalls mit der Menge werde ich in einem Bogen um den Platz und an einen anderen Ort gedrängt und folge einfach. Wo wir jetzt stehen, sehen wir auch die Prozession, die von dem frisch Gepierceten angeführt wird, der ein großes Rad mit Fackeln wie Sonnenstrahlen trägt. Die Zunge samt Schaschlikspieß ausgestreckt, da er sie ja nicht mehr in den Mund bekommt, läuft er nun durch die Straßen von Bode und ist sicher froh, dass der Ort so klein ist und er nicht durch Kathmandu laufen muss.

Trotz der anfänglichen Enttäuschung bin ich froh, das Spektakel miterlebt zu haben und wenn auch nur wegen der Stimmung auf dem Platz (bevor es so extrem eng wurde).

So, nun ist Neujahr beendet und Bhaktapur, Thimi und Bode verwandeln sich vom Tollhaus zurück in schöne Newari-Städte, die Einheimische wie Touristen gleichermaßen anziehen. Als wir (immer noch orange von Kopf bis Fuß) wieder in Kathmandu ankommen, werden wir angeschaut als ob wir nicht ganz dicht wären und immer wieder gefragt, ob wir jetzt erst Holi gespielt haben. Naja, Holi war bereits Anfang März und man ist mit allen möglichen Farben voll und wir kommen ja nur in orange daher. Ich wundere mich, dass die meisten Leute aus Kathmandu die Bräuche aus dem Nachbarort Thimi nicht kennen, doch die meisten Nepali feiern nur ihre eigenen Feste und deshalb waren wohl nur wenige Bewohner Kathmandus beim farbenfrohen Feiern im angrenzenden Thimi dabei. Eigentlich schade, sie wissen ja gar nicht, was ihnen da entgeht ;o)

 

Doch in Patan steht das Rato Machhendranath Fest an und zwischen Pulchowk und Jawalakhel kann man bereits seit ein paar Tagen beobachten, wie der meterhohe Festwagen aus Holz zusammengebaut wird. Nicht ein Nagel wird verwendet, sondern lediglich lianenartige, meterlange Zweige, die die schweren Holzbalken und Räder zusammenhalten. Dies wird dann mein letztes Fest hier in Nepal für eine Weile sein und ich freue mich, einen so schönen und ereignisreichen Abschied von Nepal nehmen zu können.

 

HAPPY NEW YEAR 2069, NEPAL!

 

Praktische Infos:

Übernachtung etwas außerhalb von Kathmandu:

 

Gamcha Organic Farm- & Guesthouse, Gamcha

 

Kontakt:

U.N. Dhungana: undhungana@yahoo.com

mobile 977 9841094225

 

Ein schöner und gemütlicher Ort zum Entspannen, mitten im Grünen mit großem Garten, Teich etc.

Honig, Joghurt, Marmelade etc. wird selbst hergestellt, Gemüse aus eigenem Anbau, Essen ist superlecker und viel.

 

Kosten pro Nacht: 600 RS zzgl. Essen